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Neue Afrikastrategie des Bundesentwicklungsministeriums: selbstkritischer, glaubwürdiger, wertegeleitet?

Megatrends Spotlight 21, 07.02.2023

Das BMZ hat seine neue Afrikastrategie vorgelegt. Die Strategie wendet sich ab vom Fokus auf Privatwirtschaftsförderung, kommentieren unsere Autor*innen in diesem Megatrends Afrika Spotlight. Sie verspricht globale Strukturpolitik und multilaterale Kooperation – aber auch eine selbstkritischere Haltung.

Ende Januar hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) seine neue Afrikastrategie vorgestellt. Die Strategie mit dem Titel „Gemeinsame Perspektiven: Zusammenarbeit mit Afrika in Zeiten des Wandels“ steht ganz im Zeichen der Zeitenwende. Sie bekennt sich deutlich zu multilateraler Kooperation und europäischen Lösungen, um „dem Narrativ der globalen Spaltung“ entgegenzuwirken. „Deutschland und […] Europa [sind] gut beraten in der neuen multipolaren Weltordnung rechtzeitig […] über Kontinente hinweg belastbare Allianzen, Netzwerke und Partnerschaften zu schließen und zu pflegen“, stellte Ministerin Svenja Schulze (SPD) fest. „Denn nur wer das kann, hat in einer multipolaren Welt noch Gestaltungsmacht“. Ihr zufolge werde Afrika „immer mehr zu einem […] globalen Gravitationszentrum“, mit welchem es enge Beziehungen zu unterhalten gelte.

Thematisch enthält die Strategie neben vielen Kontinuitäten auch einige Neuerungen. Prinzipiell neu ist, dass das Ministerium die Bereitschaft signalisiert, seine eigene Haltung zu Entwicklungsfragen stärker zu thematisieren. Es will die eigene Rolle als Partner in einer multipolaren Welt reflektieren. Die Wiederkehr einer globalen Strukturpolitik stellt zudem hohe Ansprüche, an deren Umsetzung Deutschlands Glaubwürdigkeit als verlässlicher Partner afrikanischer Staaten gemessen werden wird.

Eine Strategie für eine Welt im Wandel

Das Papier spiegelt als Zeugnis seiner Zeit aktuelle Entwicklungen wider. Es räumt den Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ebenso großen Raum ein, wie den Verwerfungen im Zuge der COVID-19 Pandemie. Gleichzeitig verliert es aber auch langfristige strukturelle Transformationen nicht aus dem Auge.

Seit 2017 fungierte (privat)wirtschaftliche Entwicklung zur Bekämpfung von Fluchtursachen als Leitmotiv des Marshallplans mit Afrika (2017-2022). Nun sind weitere Themen hinzugekommen, darunter die feministische Entwicklungspolitik, Gesundheit und Pandemieprävention. Auch die Überwindung von Hunger und Armut wurde wieder in den Vordergrund gestellt. Insgesamt ist der Privatsektor weniger stark in der Strategie verankert. Er spielt primär in den Klima- und Entwicklungspartnerschaften und bei der Infrastrukturfinanzierung eine Rolle.

Bei der Migrationspolitik gibt es eine Trendwende hin zur Förderung legaler Migrationswege. Auch die Reformpartnerschaften werden in sektorale Kooperationen überführt werden. Neben multilateralen und EU-Partnerschaften soll die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, auch in Form von Multi-Akteurs-Partnerschaften, gestärkt werden. Ob dieser neue Schwerpunkt tatsächlich zu einer Erhöhung der bilateralen deutschen Entwicklungsgelder an zivilgesellschaftliche Organisation führen wird, bleibt jedoch abzuwarten. Bisher kam ihnen nur ein vergleichsweise geringer Anteil zu.

Auf der Suche nach einer Balance zwischen Interessen und Werten

Die Strategie sieht Deutschland in einem klaren Wettbewerb um Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent mit anderen Akteuren wie China, der Türkei, den Golfstaaten und Russland. Deutsche Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern will sich von ihnen absetzen, indem sie auf gemeinsamen Interessen und Werten aufbaut. Ob bilateral oder als Teil der EU, Deutschland will seine Attraktivität als Partner durch ein noch stärkeres Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten steigern.

Hierzu beitragen soll eine „vertiefte Reflexion der Folgen der Kolonialzeit“. Sie ist Teil der neuen feministischen Ausrichtung, die nicht nur strukturelle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, sondern auch rassistische und post-koloniale Strukturen abbauen möchte. Gleichzeitig werden paternalistische Tendenzen in der Entwicklungspolitik abgelehnt – ein Vorwurf, welcher von afrikanischer Seite im Zuge der letzten UN-Generalversammlung aufkam. Bei einer Abstimmung zur Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine enthielten sich viele afrikanische Staaten des Votums, vereinzelt wurde dagegen gestimmt. Dies sorgte wochenlang für Kontroversen bei westlichen Partnern. Weitere Konfliktpunkte fanden sich in Diskussionen über die Nutzung fossiler Brennstoffe.

Gerade wertegeleitete Politik kann jedoch als paternalistisch verstanden werden; ein Spannungsfeld, das Deutschland nur über transparentes Abwägen von Interessen und Werten auch im öffentlichen Diskurs füllen kann. Es steht die Frage im Raum, ob die Gefahr eines de facto Ausschlusses zahlreicher Partner besteht, wenn die Zusammenarbeit auf Länder mit gemeinsamen Werten und Interessen beschränkt wird. Auf die fortschreitende Autokratisierung vieler Länder in Afrika muss das BMZ deutliche und praktikable Antworten finden.

Wiederkehr der Strukturpolitik

Kern der Strategie ist eine mit Afrika erarbeitete globale Strukturpolitik und ein Bekenntnis zum globalen Schuldenmanagement. Das erinnert an die Prioritäten der rot-grünen Bundesregierung vor über 20 Jahren.

Globale Strukturpolitik bedeutet Mitverantwortung und kann nur durch multilaterale Kooperation geschaffen werden. Dies wird zum einen deutlich, wenn bestehende Asymmetrien in der Handels- und Agrarpolitik angegangen werden sollen. Auch setzt sich das BMZ für „eine angemessene Mitsprache afrikanischer Staaten und der AU in den multilateralen Foren ein“. Um seine Glaubwürdigkeit zu steigern, muss Deutschland diese Position mit mehr Nachdruck verteidigen.

Ressortübergreifende Kohärenz bleibt eine Herausforderung

Grundsätzlich bietet die Afrikastrategie viele Anknüpfungspunkte, um einen ressortgemeinsamen Ansatz der Bundesregierung in ihren Beziehungen mit Afrika weiter voranzubringen. Die Strategie verweist auf die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung und bekennt sich zu enger Zusammenarbeit mit anderen Ressorts und EU-Instrumenten. Konkrete Beispiele aber werden nur wenige genannt: darunter der als bewährt erachtete Ressortkreis Afrika ebenso wie der Team Europe Ansatz, Joint Programming, und das Global Gateway EU-Afrika Investitionspaket. Wie eine Evaluierung der Reformpartnerschaften von letztem Jahr betont, ist insbesondere eine bessere Abstimmung zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt vonnöten, damit Deutschland als verlässlicher Partner wahrgenommen wird.

Die Strategie deckt thematisch eine große Bandbreite ab, ist dabei an vielen Stellen aber eher deskriptiv als strategisch. Sie liest sich als ein Bekenntnis zu einer gelebten Partnerschaft mit Afrika, die alte Denkmuster hinterfragt und Gemeinsamkeiten hervorhebt. Eine Frage bleibt jedoch ungeklärt: wie lässt sich eine wertegeleitete Außen- und Entwicklungspolitik in Ländern realisieren, deren Regierungen deutsche Prioritäten nicht teilen? Eine einfache Antwort hierauf gibt es nicht. Der Weg dorthin führt über realpolitische Pfade und verlangt mehr denn je ein kohärentes und bestimmtes Auftreten Deutschlands und der EU in der Welt.

Dieser Artikel erschien am 30.01.2023 in abgeänderter Form als Aktuelle Kolumne des German Institute of Development and Sustainability (IDOS).