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Krisenbehaftete Transition im Tschad

Die Risiken dynastischer Machtsicherung

SWP-Aktuell 2022/A 71, 08.11.2022, 6 Pages

doi:10.18449/2022A71

Research Areas

Seit dem gewaltsamen Tod von Präsident Idris Déby im April 2021 versucht die herr­schende Elite im Tschad, ihre Macht durch die dynastische Nachfolge seines Sohnes Mahamat zu sichern. Mit dem Beschluss von Oktober 2022, den Übergangsprozess um zwei Jahre zu verlängern und Mahamat Déby einstweilen zum Präsidenten zu ernen­nen, werden die Risiken dieser Bestrebungen deutlicher. Die Taktik, oppositionelle Eliten durch selektive Kooptation zu spalten, stößt mit dem Aufkommen populistischer Kräfte an ihre Grenzen. Sowohl in der Provinz als auch in der Hauptstadt heizen Macht- und Verteilungskämpfe eine Dynamik identitätspolitischer Konflikte an. Die Repression der zivilen Opposition durch das Regime spielt den Befürwortern eines bewaffneten Umsturzes in die Hände. Als Garant für Débys Überlegenheit gegenüber den Rebellen kommt Frankreich eine zunehmend unpopuläre Rolle zu.

Als der jahrzehntelang amtierende Präsi­dent des Tschad, Idris Déby, während der Abwehr eines Angriffs von Rebellen, die aus Libyen eingedrungen waren, überraschend getötet wurde, reagierte Débys Militärelite geschlossen. Ein fünfzehnköpfiger Militär­rat unter Führung seines Sohnes Mahamat übernahm die Macht, setzte die Verfassung außer Kraft und kündigte einen achtzehn­monatigen Übergangsprozess an, der mit Wahlen enden sollte.

Anders als andere Machtübernahmen afri­kanischer Militärs in den letzten Jahren zog dieser Schritt keine internationalen Sank­tionen nach sich. Die Afrikanische Union (AU), deren Kommissionspräsidenten Moussa Faki Ambitionen auf das Amt des tschadischen Präsidenten nachgesagt wer­den, stufte den Vorgang nicht als Staats­streich ein. Sie drängte lediglich darauf, dass der Militärrat seinen Fahrplan und auch sein Versprechen einhalten solle, keines seiner Mitglieder – auch nicht Mahamat Déby – ins Rennen um die Präsidentschafts­wahl zu schicken. Frankreich, das im Tschad eine große Militär­präsenz unterhält, stärkte Mahamat Déby demonstrativ den Rücken. Der französische Präsident Emmanuel Macron wollte dies gleichwohl als Unterstützung eines Übergangsprozesses, nicht aber einer dynastischen Nachfolge verstan­den wissen. Die Europäische Union orien­tierte sich an den Positionen Frankreichs und der AU.

Achtzehn Monate später lässt sich der Schein einer Transition hin zu freien Wah­len nicht mehr aufrechterhalten. Anfang Oktober 2022 beschloss der vom Militärrat einberufene Nationale Dialog, den Über­gangsprozess um zwei Jahre zu verlängern, den Militärrat aufzulösen, Mahamat Déby zum Interimspräsidenten zu ernennen und es ihm sowie den anderen Mitgliedern des Militärrats zu ermöglichen, sich zur Wahl zu stellen. Die Beschlüsse wurden verkün­det, ohne dass sie zuvor den 1.400 Teil­nehmern des Dialogs zur Abstimmung vor­gelegt worden wären. Proteste von Teilen der Opposition wurden am 20. Oktober blutig niedergeschlagen. Damit endete eine Phase, die von gedämpfter Hoffnung auf eine politische Liberalisierung gekennzeich­net war. Offen bleibt aber, ob der Führungs­zirkel um Déby die offensichtlichen Bestre­bungen, dessen Macht durch eine dynastische Nachfolge zu sichern, wird verwirk­lichen können.

Gesteuerte Transition

In der ersten Phase der Transition bis Okto­ber 2022 war es den Generälen um Déby gelungen, den Eindruck von Kompromissbereitschaft und Konsenssuche zu erwecken. Dies ließ viele kritische Stimmen vorübergehend verstummen. Déby verfolgte eine Politik der ausgestreckten Hand gegenüber Oppositionellen und ehemaligen Rebellen­führern, die vor dem Regime seines Vaters ins Ausland geflüchtet waren. Einige kehr­ten ins Land zurück und wurden mit Ämtern belohnt, ohne die Macht der Kern­elite in Frage zu stellen.

Dieser Ansatz prägte auch die Verhandlungen mit den bewaffneten Gruppen im Vorfeld des vom Militärrat vorgesehenen Nationalen Dialogs. Der von März bis August 2022 in Katar abgehaltene »Prä-Dialog« mit den Rebellen schloss mit einem Friedensabkommen mit 43 von insgesamt 52 Gruppen. Die Unterzeichner kehrten anschließend nach N‘Djamena zurück und erhielten teilweise Regierungsämter. Aller­dings verfügten die wenigsten dieser so­genannten politico-militaires über Kämpfer, und viele befanden sich nicht einmal im Widerstand, sondern waren teilweise sogar aus N‘Djamena nach Katar gereist. In dem Abkommen stellte die tschadische Regierung eine Beteiligung an der Übergangs­regierung und dem Übergangsrat in Aus­sicht sowie materielle Vorteile durch einen international finanzierten Prozess der Ent­waffnung, Demobilisierung und Wieder­eingliederung. Letzterer hat jedoch noch nicht begonnen, was bald zu Frustrationen unter den Unterzeichnern führen dürfte. Vor allem aber lehnte die Regierung sub­stantiellere Forderungen ab, zum Beispiel die, Déby von den Wahlen auszuschließen oder die Armee grundlegend zu reformie­ren, um die Dominanz von Angehörigen der Zaghawa-Ethnie Débys in ihren Reihen zu brechen. Folglich weigerten sich meh­rere Gruppen, das Abkommen zu unterschrei­ben – unter ihnen die einzigen beiden Organisationen mit nennenswerter militärischer Schlagkraft, die Front pour l’Alternance et la Concorde au Tchad (FACT) und der Conseil de Commandement Mili­taire pour le Salut de la République (CCMSR), sowie einige weniger bedeutende Gruppierungen.

Als ähnlich oberflächlich erwies sich der Nationale Dialog, der im August 2022 be­gann und Anfang Oktober abgeschlossen wurde. Von den rund 1.400 Teilnehmern wurde die überwiegende Mehrheit der Elite des Déby-Regimes zugerechnet. Die beiden wich­tigsten Oppositionsgruppen boykottierten die Veranstaltung: die zivilgesellschaftliche Koalition Wakit Tamma (Die Zeit ist um) und die Partei Les Transformateurs von Succès Masra. Dennoch wurde die Debatte teilweise erstaunlich kontrovers geführt. Teilnehmer prangerten schlechte Regierungsführung an und forderten eine föderale Neuordnung des Staatswesens. Außer dem Versprechen, ein Referendum über die Staatsform – zentralistisch oder föderalistisch – abzuhalten, trugen die vom Vorsitz verabschiedeten Ergebnisse des Dialogs den Debatten der zurückliegenden Wochen allerdings kaum Rechnung. Ab­stim­mungen fanden nicht statt. Zahlreiche Teil­nehmer – darunter auch viele, die lange Jahre unter Idris Déby gedient hatten – zeigen sich mittlerweile desillusioniert über eine Veranstaltung, deren Resultat offenbar von vornherein festgestanden hat: es Mahamat Déby zu ermöglichen, sich an der Macht zu halten und zur Wahl zu stellen.

Auch die Mitte Oktober gebildete, so­genannte Einheitsregierung hielt noch die Fassade des Konsenses aufrecht. Vier politico-militaires, die das Abkommen in Katar unter­zeichnet hatten, erhielten Ministerämter. Angeführt wird die Regierung von dem alt­gedienten Oppositionspolitiker Saleh Kebzabo.

Der Anschein von Inklusivität kann in­des nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Wandel bestenfalls kosmetischer Natur ist. Den harten Kern des Regimes – Armee und Sicherheitsapparat – hält die von der Ethnie Zaghawa dominierte Militärelite fest im Griff. Diese stand an der Spitze jener Rebellion im Jahre 1990, die Idris Déby zur Machtübernahme verhalf. Insider berichten von Spannungen zwischen Déby jr. und den Generälen, die dessen selektive Koop­tation ehemaliger Gegner mit Misstrauen verfolgen. Die Angst vor einem Macht­verlust, der eine kollektive Vergeltung an den Zaghawa nach sich ziehen könnte, hemmt zwar die Zentrifugalkräfte unter den konkurrierenden Fraktionen. Doch um sich im Amt zu halten, muss Déby bewei­sen, dass die Herrschaft dieser Militärelite mit ihm gesichert ist – was seinen Hand­lungsspielraum stark ein­schränkt.

Die Kooptation einzelner Oppositioneller steht in Kontinuität mit dem Herrschaftsstil Idris Débys. Ämter in Regierung und Ver­waltung werden immer wieder neu verteilt, die Dominanz der Kernelite aber bleibt konstant. Die nominelle Beteiligung von Opponenten verleiht dieser Herrschaft Legi­timität; zugleich spaltet sie Opposi­tions­parteien und Rebellengruppen, deren Füh­rer sich als käuflich erweisen und so an Glaubwürdigkeit einbüßen.

Ob dieses Modell die dynastische Machtübernahme sichern kann, ist fraglich. Bei gleichbleibenden staatlichen Ressourcen schafft die Einbindung zusätzlicher Akteure notgedrungen Unzufriedene unter den eta­blierten Eliten. Zudem haben sich die wich­tigsten Oppositionskräfte bisher resistent gegenüber Kooptationsversuchen gezeigt.

Unter den zivilen Kräften sind dies die Transformateurs und Wakit Tamma. Be­mühungen westlicher Diplomaten, eine Ein­bindung der Transformateurs zu er­reichen, indem Succès Masras zum Premier­minister einer Einheitsregierung ernannt wird, scheiterten an den Maximalforderungen Masras und dem Widerstand von Hard­linern in der militärischen Kernelite. Seit­dem setzen die Transformateurs und Wakit Tamma auf den Druck der Straße und inter­nationaler Akteure: Sie waren es, die die Proteste vom 20. Oktober organisierten, deren Niederschlagung sie nun zur weiteren Mobilisierung und zur internationalen De­legitimierung des Regimes zu nutzen ver­suchen. Allerdings flüchtete Masra nach dem 20. Oktober ins Ausland, und es bleibt abzuwarten, ob er auch von dort weiter Menschen auf die Straße bringen kann.

Auch unter den bewaffneten Opposi­tions­kräften bleiben die wichtigsten un­nach­giebig – insbesondere FACT. Dies liegt einerseits an den Forderungen der Organisation nach einer substantiellen politischen Öffnung des tschadischen Regierungs­systems, andererseits daran, dass die Hin­der­nisse für eine Aussöhnung mit FACT größer sind als mit anderen Gruppen: Idris Déby war während einer FACT-Offensive getötet worden, und das Regime hält zahlreiche Kämpfer der Gruppe gefangen. Während der Verhandlungen in Katar hatte FACT relativ versöhnliche Töne angeschlagen. Die Verlängerung des Übergangsprozesses und die gewaltsame Repression der Demonstrationen vom 20. Oktober dürften dagegen den Befürwortern des bewaffneten Kampfs unter den Rebellen in die Hände spielen.

Mobilisierungsdynamiken

Die politischen Bedingungen, die die erste Übergangsphase kennzeichneten und eine dynastische Nachfolge als gangbaren Weg erscheinen ließen, sollten nicht als gegeben betrachtet werden. Die vorsichtige Öffnung des politischen Raumes in dieser Phase hat Mobilisierungsdynamiken in Gang gesetzt, die schwer rückgängig zu machen sind und die Steuerung der weiteren Entwicklung schon bald erschweren könnten. Mehrere Faktoren der Übergangssituation begünstigen eine identitätspolitische Mobilisierung. Erstens ist in der tschadischen Öffentlichkeit seit dem Tod Idris Débys die Wahrnehmung entstanden, dass die staatliche Zentralmacht geschwächt ist. Zweitens hat die Transition grundlegende Fragen wie jene über die Staatsform aufgeworfen und die offene Diskussion darüber erleichtert. Drittens bringt sie eine Häufung von Ver­teilungskonflikten mit sich, wie sich an der Bildung von zwei Regie­rungen innerhalb von achtzehn Monaten oder an der Sitz­verteilung im Prä-Dialog, im Übergangsrat und im Nationalen Dialog ablesen lässt. Viele der damit verbundenen Kontroversen drehen sich um die – vermeintlich oder tatsächlich – unzureichende Repräsenta­tion einzelner Regionen und Bevölkerungsgruppen.

Zu den Dynamiken, die sich in der Tran­sitionsphase entwickelt haben, gehört das neue Phänomen der Proteste. Seit der Grün­dung der Transformateurs 2018 und vor allem seit dem Tod Débys hat Succès Masra eine für den Tschad bisher außer­gewöhn­liche Mobilisierungsfähigkeit bewiesen. Masra gelingt es, ärmere, marginalisierte Bevölkerungsteile, deren Zorn sich auf die Korruption und Misswirtschaft der herr­schenden Eliten richtet, auf die Straße zu bringen. Allerdings handelt es sich bei denjenigen, die seinen Aufrufen folgen, vor allem um Bewohner jener Stadtviertel N’Djamenas, in denen südliche Bevölkerungsgruppen überwiegen, und einiger Städte der südlichen Provinz. Diese iden­titäre Dimension wird vom Regime, zuneh­mend aber auch von Masra selbst betont und droht eine alte Konfliktlinie wieder­zubeleben. Dagegen hat Masra – der gute Beziehungen zu westlichen Botschaften unterhält – es bislang dezidiert vermieden, den weitverbreiteten Unmut über die fran­zösische Unterstützung für Mahamat Déby für seine Zwecke zu nutzen. Unter Betei­ligung von Wakit Tamma kam es im Mai 2022 zu mehreren Demonstrationen mit dem Slogan »Frankreich raus«. Deren Teil­nehmer rekrutierten sich nicht zuletzt aus der großen Gruppe der arabischsprachigen Hochschulabsolventen, die sich bei der Besetzung von Stellen in der Verwaltung benachteiligt sehen. Antifranzösische Posi­tionen, die derzeit im frankophonen Afrika rapiden Zulauf erhalten, könnten im Tschad zukünftig noch wesentlich mehr Resonanz finden, als dies bisher der Fall war.

Identitätspolitisch aufgeladene Konflikte zeichnen sich auch bei zwei weiteren The­men ab. Erstens werden die Forderungen lauter nach dem Wechsel zu einem födera­len System. Zwar äußern sich mittlerweile auch Vertreter von Provinzen im Norden und Zentrum des Landes in diesem Sinne. Mit dem größten Nachdruck wird dieses Ziel jedoch im Süden artikuliert, wo die Perzeption politischer Marginalisierung durch ein von »nördlichen« Gruppen domi­niertes Regime besonders ausgeprägt ist. Hinzu kommt hier eine tief im kollektiven Gedächtnis verankerte Erfahrung von Re­pression durch »nördlich« geprägte Armeen unter den Präsidenten Hissène Habré und Idris Déby. Auch das zweite Konfliktfeld lässt sich nur allzu leicht in das Schema eines vermeintlichen Nord-Süd-Antagonis­mus einpassen: die Auseinandersetzungen zwischen Viehzüchtern und Ackerbauern im Süden und Osten des Landes. Zu solchen Streitigkeiten kommt es zwar schon seit etwa zwei Jahrzehnten immer häufiger. In der öffent­lichen Wahr­nehmung haben Ausmaß und Frequenz aber seit dem Tod Débys zugenommen. Vertreter der Militär- und Regierungselite sind oft in diese Kon­flikte verwickelt, da sie Eigentümer großer Herden sind oder in Bodenbesitz investieren. Die Auseinandersetzungen treiben eine wechselseitige Dynamik der Bewaffnung an. Unter Ackerbauergemeinschaften beför­dern sie einen Diskurs, der arabische Vieh­züchter als Ausländer und Neuankömm­linge stigmatisiert. Unter Letzteren greift dagegen die Ideologie arabischer Vorherrschaft um sich, die im benachbarten Darfur eine fatale Rolle gespielt hat. Die dortigen paramilitärischen Rapid Support Forces haben massiv unter tschadischen Arabergruppen rekrutiert.

Der Faktor Frankreich

Trotz der Dynamiken, die sich in der Über­gangsphase entwickelt haben, befand sich die tschadische Führung bisher in einer relativ komfortablen Verhandlungsposition gegenüber der zivilen wie auch der bewaff­neten Opposition. Dies ist vor allem auf zwei Faktoren zurückzuführen: die franzö­sische Militärpräsenz und den Mangel an Unterstützung tschadischer Rebellen durch andere Staaten.

Das französische Kontingent im Tschad kommt einer Sicherheitsgarantie für das Déby-Regime gleich. Im Februar 2019 bom­bardierten französische Kampfjets eine aus Libyen eingefallene Rebellenkolonne, als die tschadische Armee mit der Abwehr zögerte. Wäh­rend des FACT-Angriffs 2021 leistete Frank­reich Aufklärung und logis­tische Unterstützung, die entscheidend zur Niederlage der Rebellen beitrugen. Seit dem Tod Idris Débys hat Macron wiederholt ver­sichert, dass Frankreich der »territorialen Integrität« des Tschad verpflichtet sei. Der Grund für diesen umfänglichen Beistand war in den letzten Jahren einerseits die Stationierung des Hauptquartiers der fran­zösischen Militäroperation Barkhane im Tschad, andererseits der wichtige Beitrag tschadischer Militäreinheiten zur VN-Opera­tion MINUSMA in Mali. Seit dem Abzug französischer Truppen aus Mali dürfte in Paris die Befürchtung an erster Stelle stehen, die Aufkündigung der Sicherheitsgarantie könnte eine rapide Destabilisierung des Tschad selbst zur Folge haben. Das wiede­rum würde sich auf die gesamte Region auswirken – auch auf das Nachbarland Niger, einen wichtigen Partner Frankreichs und anderer westlicher Staaten.

Aufgrund dieser französischen Rolle war das Mobilisierungspotential für tschadische Rebellenbewegungen, die im benachbarten Libyen oder der Zentralafrikanischen Repu­blik Zuflucht gesucht haben, seit dem Tod Débys begrenzt. Größeren Zulauf könnten die bewaffneten Gruppen sowohl dann be­kommen, wenn die zivilpolitischen Spiel­räume begrenzt werden, als auch dadurch, dass sie ausländische Unterstützung erhal­ten. Für Letzteres käme etwa Russland in Frage, dessen Gruppe Wagner sowohl im Süden Libyens als auch in der Zentral­afrika­nischen Republik präsent ist. Dessen un­geachtet dürften beide Länder den tscha­dischen Rebellen aufgrund schwacher bzw. fehlender staatlicher Kontrolle weiter Rück­zugsgebiete und Basen bieten.

Ausblick

Bislang war der innenpolitische Widerstand gegen eine dynastische Nachfolge nicht stark genug, um die tschadische Führung zu Verhandlungen zu zwingen und eine von oben gesteuerte Transition unmöglich zu machen. Auch von Seiten der AU und westlicher Staaten ging bisher kein nen­nenswerter Druck aus, um einen verhandel­ten Übergangsprozess in Gang zu bringen. Ver­suche des Regimes, neue Oppositionsbewegungen und politische Debatten durch Repression zu ersticken, könnten jedoch die weitere Mobilisierung vorantreiben. Damit verbunden droht eine iden­titätspolitische Polarisierung, die auch durch Konflikte in den Provinzen Auftrieb erhalten könnte. Eine solche Entwicklung könnte Verhandlungen schon bald unausweichlich machen, zugleich aber ihre Voraussetzungen ver­schlechtern. Ein entsprechendes Szenario wäre wahrscheinlich auch mit der weiteren Ausbreitung und Verhär­tung antifranzösischer Positionen verknüpft. Denn die über­wiegende Mehrheit der politischen Akteure sieht in der französischen Unterstützung der tschadischen Führung den Hauptgrund für deren Unnachgiebigkeit. So könnte die französische Militärpräsenz, obwohl sie den Tschad sicherheitspolitisch stabilisiert, über kurz oder lang politisch unhaltbar werden.

Doch auch ein alternatives Szenario, bei dem wachsender Druck von innen und außen die herrschende Elite zwingt, mit Oppositionskräften über eine substantielle Mit­sprache zu verhandeln, wäre mit dem Risiko einer Destabilisierung verbunden. Eine verhandelte Transition würde zweifel­los intensive Machtkämpfe auslösen – so­wohl unter den etablierten Eliten als auch zwischen ihnen und den neuen populistischen Kräften. Das Potential für Mobilisierung und identitäre Polarisierung wäre noch größer. Eine fragile Machtteilung in N‘Djamena dürfte eine Schwächung der staatlichen Zentralmacht zur Folge haben, was eine Eskalation der Konflikte in den Pro­vinzen nach sich ziehen könnte. Teile der Militärelite könnten auf einen drohenden Machtverlust mit einem Putsch reagie­ren und nach Alternativen für ausländische Unterstützung suchen, wobei auch in die­sem Fall Russland naheliegen würde. Dass die Herrschaftselite die Macht ohne hefti­gen Widerstand abgibt, ist jedenfalls nicht zu erwarten.

Nicht nur aufgrund solcher Szenarien ist es unwahrscheinlich, dass Frankreich stär­keren Druck ausüben wird, um die tscha­dische Führung zu größeren Zugeständnissen gegenüber der Opposition zu bewegen. Auch die Erfahrung Frankreichs mit dem eigenen Einflussverlust in der Zentralafrikanischen Repu­blik und Mali dürfte dem entgegenstehen. Drohungen mit einer Kür­zung finanzieller oder militärischer Unter­stützung, so das Pariser Kalkül, könnten Teile der Herrschaftselite in die Arme ande­rer Mächte – wie China oder Russland – treiben.

Dagegen wäre es sowohl im längerfristigen Interesse Deutschlands als auch im Sinne einer wertegeleiteten Außenpolitik, die deutsche Position stärker von der Politik Frankreichs abzugrenzen und auch auf europäischer Ebene für eine kritischere Haltung zu werben. Um Signale gegen eine Intensivierung der Repression zu senden, könnte etwa die Konditionierung euro­päischer Budgethilfe in Betracht gezogen werden. Die Reaktion internationaler Ak­teure spielt in den Erwägungen der tscha­dischen Führung, wie hart sie gegen die Opposition vorgehen kann, durchaus eine Rolle. Hier könnte Deutschland, im Ver­bund mit europäischen Partnern, deut­lichere Akzente setzen, um weiteren Gewalt­exzessen vorzubeugen.

Dr. Wolfram Lacher ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten.

© Stiftung Wissenschaft und Politik, 2022

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