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Afrikas Platz auf der Weltkarte

Megatrends Spotlight 48, 18.09.2025

Weltkarten sind nicht neutral, sondern marginalisieren Afrika, sagt die „Correct the Map“-Kampagne. Vor dem Gipfeltreffen der Europäischen Union und der Afrikanischen Union im November sollte die europäische Seite daher ihr Kartenmaterial prüfen, argumentiert Karoline Eickhoff in diesem Spotlight.

Die Afrikanische Union (AU) hat kürzlich ihre Unterstützung für die „Correct the Map“-Kampagne ausgesprochen. Die von den Interessengruppen Africa No Filter und Speak Up Africa initiierte Kampagne fordert, dass internationale Organisationen und Medienhäuser wie die Vereinten Nationen, die Weltbank und die BBC zukünftig nicht mehr die Mercator-Weltkarte verwenden. Diese stellt Bereiche in der Nähe der Pole vergrößert dar – Nordamerika zum Beispiel viermal größer als tatsächlich. Anstelle dessen soll die Equal-Earth-Karte verwendet werden, die die tatsächliche Größe von Kontinenten und Ländern darstellt und somit Afrika deutlich größer zeigt.

Den Initiatoren zufolge geht es nicht nur um die Größe der Landmasse, sondern auch um Macht, Wahrnehmung und ein falsches Gefühl der Überlegenheit gegenüber dem Globalen Süden, welches mit der gewählten Darstellung einhergeht. Die verkleinerte Ansicht Afrikas auf Weltkarten sei nicht nur ein kartografischer Fehler, sondern auch ein narratives Problem, so Moky Makura, Geschäftsführerin von Africa No Filter, da diese Darstellung eine bestimmte Sicht auf Afrikas Platz in der Welt vermittelt. Selma Malika Haddadi, die stellvertretende Vorsitzende der AU-Kommission, sieht die Kampagne als wichtigen Schritt um „Afrika seinen rechtmäßigen Platz auf der Weltbühne zurückzugeben“.

Kartendarstellungen prägen die Sicht auf die Welt

Kartendarstellungen beeinflussen unsere kognitiven Landkarten („Mental Maps“), also unsere Vorstellungen von unserer Umwelt. Diese „Mental Maps“ sind Vereinfachungen, in denen wir gelernte geographische Informationen, persönliche Erfahrungen, aber auch Geschichten, Bilder und Überzeugungen verarbeiten. Sie sind geographisch nicht akkurat. Orte, die für uns wichtig sind, werden detailreich und vergrößert gespeichert, während unbekannte Regionen verzerrt oder weggelassen werden. Eine weitverbreitete kognitive Verzerrung ist beispielsweise die Annahme, Afrika befinde sich auf der südlichen Halbkugel. Tatsächlich liegen jedoch zwei Drittel Afrikas nördlich des Äquators. Durch die Veränderung von Kartendarstellungen ist es also möglich, die Wahrnehmung der Betrachter*innen zu beeinflussen. 

Die Reichweite des möglichen Perspektivwechsels wird zum Beispiel durch die Spilhaus-Projektion der Weltkarte verdeutlicht: Sie zeigt die Meere und Ozeane als ununterbrochenes Gewässer, das von Landmassen gesäumt ist. Im Mittelpunkt der Weltkarte befindet sich die Antarktis. 

Gleichzeitig erwecken kartographische Informationen oft den Eindruck von Objektivität. Sie zeigen die Lage von Objekten auf der Erdoberfläche, Landmassen, Gewässer und Wege von A nach B. Jedoch muss jede zweidimensionale Darstellung der kugelförmigen Welt irgendwo Abstriche machen. Die Mercator-Karte wurde im 16. Jahrhundert für die Navigation in der Seefahrt konzipiert. Sie ist winkeltreu und legt den Fokus auf Richtungen bei gleichzeitiger Bewahrung der Form von Landmassen. Sie eignet sich heute noch gut für zoomfähige Webkarten. Die Equal-Earth-Weltkarte hingegen ist flächentreu, stellt also Landmassen in korrekter Größe dar. Sie verzerrt allerdings Formen und Winkel. Die Auswahl der dargestellten und der notwendigerweise vernachlässigten Parameter sagt also etwas über die Perspektive der Erstellerin bzw. des Erstellers und die Nutzungsinteressen aus.

Zentrum und Peripherie: Weltkarten als Geopolitik

Politische Brisanz gewinnt die Kampagne durch die Äußerung, Afrika werde durch die Verwendung der Mercator-Karte absichtlich marginalisiert („intentionally minimises Africa’s true size“). Darauf deuten auch die Verweise auf Macht und Wahrnehmungen hin. Hier steht die Annahme im Raum, dass die oft verwendete Karte nicht lediglich ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit ist, das korrigiert werden muss, sondern dass es sich um einen gezielten Einsatz kartographischer Repräsentation in der internationalen Politik handelt – also um eine Form von Geopolitik.

Die Frage, wie die Darstellung geographischer Gegebenheiten politische Machtverhältnisse legitimieren kann, ist Gegenstand der kritischen Geopolitik. Anhänger*innen dieser Denkschule vertreten die Auffassung, dass strategische Annahmen zu Geographien, die in der internationalen Politik als besonders bedeutsam behandelt werden – wie beispielsweise die Meeresstraße Bab al Mandab, der Hindukusch und die Arktis – keinesfalls naturgegeben sind. Gleiches gilt für Vorstellungen vom „Zentrum“ der Welt und der „Peripherie“. Vielmehr werden Räume sozial konstruiert und mit Bedeutung aufgeladen, um bestimmte politische Entscheidungen und Handlungen, wie beispielsweise militärische Interventionen, zu rechtfertigen. 

In dieser Lesart von Geopolitik repräsentieren Landkarten eine bestimmte Vorstellung von Weltordnung. Werden sie jedoch als neutrale Abbildungen von Wirklichkeit betrachtet, werden die abgebildeten Machtverhältnisse im Auge des Betrachters bzw. der Betrachterin zur natürlichen Ordnung. 

Die kritische Geopolitik betont auch den Einfluss der Geschichte auf heutige globale Machtverhältnisse, was im Zusammenhang mit Afrika von großer Bedeutung ist. Kartierungen spielten eine wichtige Rolle in den imperialen Bestrebungen europäischer Kolonialmächte in Afrika: Der interventionistische Blick europäischer „Entdecker*innen“ auf zukünftige Besiedlungsgebiete, eigenmächtige Grenzziehungen und die Aufteilung des Kontinents in Einflussgebiete vor und während der Berlin Konferenz von 1884/85. Heutige Infrastrukturprojekte wie regionale Transportkorridore in Ostafrika, an die externe Rohstoffinteressen geknüpft sind, werden vor diesem Hintergrund im Lichte kolonialer Kontinuitäten im Denken externer Akteure erforscht. Unser Blick auf die Geographie Afrikas ist also aus diesem Blickwinkel nicht neutral, auch wenn geopolitische Analysen historische Dimensionen oft nicht berücksichtigen. 

Damit steht das Anliegen in einem größeren Zusammenhang: Es geht um die Überprüfung von in der Außen- und Sicherheitspolitik verwendeten Wissensprodukten auf Kontinuitäten kolonialer „Mind Maps“ und die historische Marginalisierung Afrikas.

Auf den Prüfstand: Visualisierungen in den Afrika-Europa-Beziehungen

In den Beziehungen zwischen Europa und Afrika sind diese Themen sehr sensibel, auch im Zusammenhang mit dem aktuellen AU-Schwerpunktthema „Reparationen für Kolonialismus und Sklaverei“. Um auf das von der AU unterstützte Anliegen zu reagieren, sollten die EU und ihre Mitgliedstaaten die Kampagne zum Anlass nehmen, ihre Verwendung von Visualisierungen zu überprüfen – nicht nur Weltkarten, sondern kartographisches Material mit Bezug zu Afrika im weiteren Sinne. Politische (Welt-)Karten müssen in jedem Fall regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Anlässe dafür waren zum Beispiel die Unabhängigkeit des Südsudans im Jahr 2011 der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs im Jahr 2020. 

Es geht nicht unbedingt darum, neue verbindliche Vorgaben zu Darstellungsformen zu machen. Keine zweidimensionale Kartendarstellung kommt ohne Verzerrungen aus; keine Karte kann eine Umwelt ohne Auslassungen darstellen. Je nach Anlass können unterschiedliche Projektionen sinnvoll sein. Wichtig ist jedoch, ein weitreichendes Bewusstsein innerhalb der EU-Institutionen und unter den Mitgliedsstaaten dafür zu schaffen, dass Kartendarstellungen nicht neutral sind und nachvollziehbar kenntlich zu machen, auf welchen Annahmen verwendete Karten mit Afrikabezug basieren. Dies gilt nicht nur für die Außendarstellung, sondern auch für interne Visualisierungen, beispielsweise im Zusammenhang mit Szenarien und Planungsübungen. Wer und was abgebildet wird, ist genauso bedeutsam wie Auslassungen. 

In diesem Zusammenhang ist die Global Gateway Initiative interessant, im Rahmen derer Akteure von Team Europe weltweit und insbesondere in Afrika in Infrastruktur investieren sollen. Die Maßnahmen sollen durch eine Kommunikationsstrategie begleitet werden, die einen Paradigmenwechsel in der Darstellung und Wahrnehmung der Beziehungen der EU zu ihren Partnerländern bewirken soll. Dafür ist visuelle Kommunikation entscheidend. Auf bisher veröffentlichten Materialien sehen wir eine Kontinentalkarte Afrikas, auf der die von der EU ausgewählten Korridore als Interessengebiete farblich hervorgehoben sind, die strategischen Transportkorridore, deren transportlogistisches Rückgrat (Straßen, Schienen, Flüsse) und Einzugsgebiete im Zusammenhang mit Investitionsschwerpunkten in Sektoren wie Energie, Verkehr und Digitalisierung sowie die Projektstandorte und Themen der Vorzeigeprojekte der EU. 

Das technische, visuell klare Übersichtsmaterial dient Planungs- und Abstimmungszwecken zwischen den vielen beteiligten Akteuren. Der gewählte Fokus auf Transportkorridore ruft jedoch auch historische Erinnerungen wach und ist deswegen in der Kommunikation sensibel. Vor diesem Hintergrund müssen sich die Planer*innen in Brüssel kritische Fragen über die zugrunde liegende „Mental Map“ gefallen lassen, mit der die EU im Zusammenhang mit Global Gateway operiert. 

Vor diesem Hintergrund wären ergänzende Darstellungen wünschenswert, die einen Perspektivwechsel einnehmen. Diese würden verdeutlichen, dass sich die EU und Akteure von Team Europe auch mit den „Mental Maps“ anderer Beteiligter auseinandersetzen. Verschiedene Optionen bieten sich an. Zum Beispiel könnten die Einbindung Afrikas in globale Konnektivitätsnetzwerke und die Schnittstellen zu AU-Programmen regionaler Infrastruktur- und Wirtschaftsintegration expliziter kenntlich gemacht werden. Darüber hinaus könnten die sozialen Beiträge zu Gesundheit, Bildung und Forschung stärker in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden, die Global Gateway Projekte ebenfalls leisten sollen. 

Visualisierungen könnten den Blick auch auf lokale Mobilität von Bürger*innen, sozioökonomische Prozesse und Verteilungsfragen rund um Projektstandorte und die Beiträge afrikanischer Beteiligter richten. Interaktive Karten eigenen sich zu diesem Zweck besonders. Für diese Darstellungen gilt: Sie können nicht ohne lokale Beteiligung erstellt werden. Wenn wir Karten als Abbildungen von Machtverhältnissen verstehen, die unsere Wahrnehmung beeinflussen, sind sie ein relevanter Ansatzpunkt, um dem Grundsatz der Partnerschaften auf Augenhöhe zu entsprechen.