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Die verlassenen Boote im Hafen von Arinaga auf Cran Canaria geben Zeugnis von den zahlreichen Versuchen der Menschen, das europäische Festland zu erreichen.

Die verlassenen Boote im Hafen von Arinaga auf Cran Canaria geben Zeugnis von den zahlreichen Versuchen der Menschen, das europäische Festland zu erreichen.

Wirksame Migrationspolitik geht nur in Partnerschaft

Blog Joint Futures 25, 17.11.2023

Eine der größten Herausforderungen für Deutschland und die Europäische Union ist die Asyl- und Migrationspolitik. Wirksame Reformen seien nur dann möglich sein, wenn man afrikanische Herkunftsländer als wirkliche Partner an Bord nähme und mit ihnen entlang ihrer Interessen zusammenarbeite, argumentiert Tobias Heidland.

 

Migration, insbesondere Asyl und Flucht, ist aktuell im Herbst 2023 für die Bürger*innen in Deutschland das wichtigste Thema. Als größtes Problem wird dabei die irreguläre Migration wahrgenommen, also Migration ohne gültiges Visum. Diese irreguläre Migration ist zum Teil systemgemacht, da ein Asylantrag in der Europäischen Union (EU) in der Regel nicht ohne illegalen Grenzübertritt möglich ist und es für den Großteil der Weltbevölkerung kaum andere Migrationswege in die EU gibt.  

Besonders problematisch für die hiesige Bevölkerung ist, dass diese irreguläre Migration ungeordnet und nicht kontrollierbar erscheint. Hinzu kommt die Überforderung vieler Kommunen und von Institutionen wie Ämter und Schulen, die insbesondere auch in Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine noch einmal deutlich zugenommen hat. Klar scheint, dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland nicht mehr über Jahre hinweg solch hohe Asylbewerberzahlen wie in den vergangenen Jahren verkraften werden. Ein Kurswechsel ist daher notwendig. Dieser wird ohne die Herkunftsländer nicht möglich sein.

Zentrale Lösungsansätze nur in Kooperation

Derzeit werden zahlreiche Maßnahmen diskutiert. Diese zielen darauf ab, entweder den Wunsch zu migrieren oder die Erfolgswahrscheinlichkeit zu reduzieren und damit die potenziellen Migrant*innen zu einer anderen Entscheidung zu bewegen.

Vor allem von konservativer Seite wurden wochenlang Absenkungen der Sozialleistungen für Asylbewerber*innen gefordert, da diese angeblich große Anziehungseffekte (Pull-Effekte) auf irreguläre Migrant*innen hätten. Eine solche Kürzung wurde auf der Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November 2023 beschlossen, gemeinsam mit weiteren Verschärfungen wie einer Bezahlkarte für Asylbewerber*innen, um ihnen den Zugang zu Bargeld zu erschweren. Doch die bisherigen Erfahrungen zu solcherlei Maßnahmen lassen jedoch nicht erwarten, dass allein aufgrund niedrigerer Zahlungen von Sozialleistungen  erheblich weniger Asylbewerber*innen in Deutschland ankommen werden. Der zentrale Grund dafür ist, dass andere Faktoren eine größere Rolle für Migrationsentscheidungen spielen, insbesondere Push-Faktoren wie Konflikte, Armut und fehlende Hoffnung auf Besserung im Herkunftsland sowie bestehende Netzwerke und gute Beschäftigungschancen, die Deutschland als konkretes Zielland attraktiv machen. Die (vermutlich nicht allzu wirksame) Absenkung von Standards und der damit verbundene Unterbietungswettbewerb potenzieller Zielländer ist aus meiner Sicht auch deshalb in Teilen der deutschen Politik en vogue, weil sie einem beliebten Stereotyp aus Boulevard und Bierzelt („Sozialtourismus“) entgegentritt und zudem einer der wenigen Ansätze ist, der ohne eine enge Kooperation mit den Herkunfts- und Transitländern funktioniert. Erfolgversprechende Ansätze kommen aber ohne eine solche Zusammenarbeit nicht aus.

Ein weiterer Ansatz, Emigration weniger attraktiv erscheinen lassen soll, ist, die direkte Reduktion von Migrationsursachen im Herkunftsland(„Fluchtursachenbekämpfung“). Hierfür wird insbesondere die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) eingesetzt. Wie wir in einer neuen Studie zeigen, kann EZ für Herkunftsländer attraktiv sein, denn sie trägt zumindest kurzfristig zu einem größerem Vertrauen der Bürger*innen in ihre nationalen Institutionen im Herkunftsland bei, was zur Legitimität beiträgt. Wie wir zeigen, kann dieser Ansatz zwar im Durchschnitt die gewünschte Wirkung in Form von geringeren Migrationswünschen und Asylbewerberzahlen ein wenig erzielen, seine Effektivität ist aber insbesondere in fragilen Kontexten sehr gering. Auch die EZ ist also kein Allheilmittel. Sind die Politikmaßnahmen mit den entsprechenden Ländern und lokalen Bedarfen abgestimmt und kohärent mit anderen Politiken, ließe sich höchstwahrscheinlich eine noch größere Wirkung erzielen, als wir in unserer Studie dokumentieren.

Eine Alternative besteht darin, die Erfolgschancen irregulärer Migration zu verringern. Die Bundesregierung hat in den letzten Wochen einen stärkeren Fokus auf Abschiebungen gelegt, der bereits im Koalitionsvertrag angelegt war. Menschen ohne Asylgrund sollen das Land schnell wieder verlassen. Die Hoffnung ist, dass sich schnelle Abschiebungen herumsprechen und dadurch eine irreguläre Migration ohne Aussicht auf Asyl unattraktiver wird. Grundsätzlich ließe sich durch schnelle, aber faire Verfahren viel erreichen. Doch eines der größten Hindernisse war bisher stets der mangelnde Wille der meisten Herkunftsländer, bei der Abschiebung ihrer Bürger*innen zu kooperieren. Damit verlören sie innenpolitisch an Unterstützung und wichtige Finanzflüsse durch Rücküberweisungen brächen ab. Der Ansatz der Bundesregierung mit Hilfe eines „Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen“ Vereinbarungen mit Herkunftsländern zu treffen, um diese stärker zur Kooperation zu bewegen, ist ein wichtiger Schritt. Auch hier steht wieder Kooperation im Mittelpunkt.

Gleichzeitig wird insbesondere von rechter Seite gefordert, dass Menschen schlicht am Grenzübertritt in die EU und nach Deutschland gehindert werden müssten. Derartige Zurückweisungen an der Grenze würden den Menschen die Möglichkeit auf Asyl in der EU gänzlich nehmen und sind damit rechtlich wie ethisch höchst problematisch. Unbeantwortet bleibt dabei auch die Frage, wer dann den Schutz der Flüchtenden gewährleistet. Würde Deutschland als Trittbrettfahrer auftreten und sich seiner globalen Verantwortung entziehen, zum Flüchtlingsschutz beizutragen, wäre ein großer Reputations- und Glaubwürdigkeitsschaden die Folge, der auch auf andere Politikbereiche ausstrahlen würde.

Eine realistischere, ebenfalls im Koalitionsvertrag erwähnte Variante, ist die Idee, Asylverfahren nicht nur an die EU-Außengrenzen, sondern sogar in Länder außerhalb der EU zu verlagern (vgl. die stark kritisierten Varianten Italien-Albanien und Dänemark/ Vereinigtes Königreich-Ruanda). Letzteres wäre, unter der Voraussetzung, dass die notwendigen Gesetze und logistischen Vorkehrungen zur Sicherstellung fairer und schneller Verfahren geschaffen werden, durchaus denkbar und könnte die Anreize zur irregulären Migration tatsächlich verändern. Allerdings bestehen große Fragezeichen, wie außerhalb der EU faire Verfahren garantiert werden können, da diese sind bereits in der EU nicht überall sichergestellt sind. Bereits bei der Suche nach sicheren Orten für Verfahren in den Nachbarstaaten der EU zeigen sich diese Schwierigkeiten. Auch deshalb ist die Europäische Kommission diesen Ideen bisher sehr kritisch gegenüber. In jedem Fall wird man den beteiligten Ländern substanzielle Angebote machen müssen, von denen auch die dortige Bevölkerung nachhaltig profitiert.

Wie auch immer die konkreten Lösungen aussehen werden, die Bundesregierung sollte stets im Blick behalten, dass Flüchtlingsschutz ein globales öffentliches Gut ist. Das heißt, es besteht das grundsätzliche Problem, dass andere Länder stets den Anreiz haben, nicht dazu beizutragen. Um den Schutz von Menschen, die vor Verfolgung fliehen, effizient zu gewährleisten, ist globale Kooperation notwendig. So oder so:  Es geht nur in enger Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern irregulärer Migrant*innen ohne Chance auf Asyl und den Transitländern - in Afrika, aber ausdrücklich auch in Asien und zum Teil in Lateinamerika.

Was anbieten und womit verzahnen?

Um eine engere Zusammenarbeit mit wichtigen Herkunfts- und Transitländern zu erreichen, müssen wir uns fragen, was Deutschland und Europa für die Regierungen der Herkunftsländer zu attraktiven Partnern macht.

Europa ist attraktiv, weil es wirtschaftlich stark ist. Das ist auch der Hintergrund für einen erheblichen Teil der irregulären Migration. Wenn Menschen nicht vor etwas fliehen, dann migrieren sie zuvorderst, um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zu finden. Auch diejenigen, die auf der Flucht sind, ziehen es oft vor, in wirtschaftlich stärkere Länder zu gehen, wenn sie können (die meisten verbleiben jedoch in der Region), weil sie sich erhoffen, dort besser auf eigenen Beinen stehen zu können. Diese wirtschaftliche Stärke kann aber viel besser als bisher genutzt werden, indem sie zum zentralen Element deutscher Angebote an die Herkunftsländer werden und damit mehr Anreize zur Kooperation auch im Bereich irregulärer Migration geschaffen werden.

Erstens sollte in der Zusammenarbeit Deutschlands mit den afrikanischen Partnerländern viel stärker auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und wirtschaftliche Entwicklung ausgerichtet werden, insbesondere durch einen Dreiklang aus (Aus-)Bildung, Finanzierung und Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Für viele afrikanische Staaten ist die Schaffung guter Beschäftigungsmöglichkeiten das zentrale Thema der nächsten zwanzig Jahre. Es ist nicht nur innenpolitisch wichtig, sondern auch für die Migration, denn wachsender Wohlstand und gute Arbeit stabilisieren die Länder und verringern den Wunsch auszuwandern.

Zweitens sollte es mehr Möglichkeiten für legale Migration geben, um den Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Dies kann beispielsweise mit einem Punktemodell geschehen, bei dem junge Menschen mit guter Ausbildung und Deutschkenntnissen auch ohne einen Arbeitsvertrag ein Visum erhalten könnten, wenn diese individuellen Charakteristika „belohnt“ werden sollen. Von großem Interesse für die Herkunftsländer sind außerdem mehr Zugangswege zum deutschen Lehr-, Ausbildungs- und Hochschulsystem. Des Weiteren sollten Ausbildungspartnerschaften mit Herkunftsländern gestärkt werden, bei denen Zielländer mit Arbeitskräftebedarf im Herkunftsland die Ausbildung direkt finanzieren und damit sicherstellen, dass nicht alle neu ausgebildeten Fachkräfte direkt emigrieren. Derartige Angebote mit Deutschland auszuhandeln wäre für die Regierungen der Herkunftsländer ein großer Erfolg, der ihnen zu mehr Legitimität verhelfen könnte.

Gesteuerte Migration sollte dabei nicht nur als dauerhafte Migration verstanden werden. Durch regelmäßige zirkuläre Migration zwischen Herkunfts- und Aufnahmeland und Transnationalität werden die Verbindungen zwischen beiden Ländern gestärkt und auch Werte aus dem Zielland in das Herkunftsland transferiert.

Der Umgang mit den Herkunftsländern muss aus meiner Sicht in Zukunft folgende Schwerpunkte haben: Deutschland steuert aktiv, wer von außerhalb der EU nach Deutschland zuwandert, beteiligt sich zugleich maßgeblich am weltweiten Flüchtlingsschutz ohne, dass Menschen dafür notwendigerweise nach Deutschland kommen müssen. Deutschland trägt außerdem langfristig zur Bekämpfung von Fluchtursachen durch bessere wirtschaftliche Entwicklung und die Förderung guter Regierungsführung bei. Eine erfolgreiche Migrationspolitik in Partnerschaft setzt zudem voraus, dass Prozesse in deutschen Botschaften und Ämtern effizienter und wertschätzender gegenüber Migrant*innen gestaltet werden.

 

Die Verantwortung für die in den Beiträgen und Interviews vorgetragenen Inhalte, Meinungen und Quellen liegt bei den jeweiligen Autor*innen.

Prof. Dr. Tobias Heidland ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Leiter des Forschungszentrums „Internationale Entwicklung“ im Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und ein Projektleiter von Megatrends Afrika.